„Man muss auch seine Grenzen kennen“
Hans-Joachim Arnold veredelt Glas, schützt Vögel, arbeitet mit internationalen Architekten – und macht um eine Branche einen großen Bogen.
Dass ein Unternehmer in der Zeitung steht, ist nichts Besonderes. Dass ein Unternehmer aus Remshalden im Rems-Murr-Kreis, zwanzig Kilometer östlich von Stuttgart, die New York Times und den San Francisco Chronicle zu Berichten animiert, ist hingegen nicht alltäglich.
Dass es so weit kam, liegt daran, dass dieser Unternehmer, Hans-Joachim Arnold, das Leben von Vögeln verlängern kann – und zwar mit Glas. Er hat mit seinem Unternehmen, Glaswerke Arnold, ein Vogelschutzglas entwickelt, das tödliche Kollisionen verhindern hilft. Das sei in den USA, anders als hierzulande, ein Riesenthema, dort werde Vogelschlag oft akribisch protokolliert. Und wenn ein schwäbischer Unternehmer etwas anderes dagegen aufbietet als dunkle Vogelaufkleber, dann melden sich auch große Namen der amerikanischen Presse. „Wir ticken schon speziell“, sagt Arnold. Er meint damit die Suche in Nischen, nach neuen Produkten. Müsste ein Mittelständler wie er auf Börsenkurse Rücksicht nehmen, gäbe es solche Entwicklungen nicht. Gut und gerne zwanzig Jahre arbeitete Arnold daran, ein Konzern hätte bei fehlender Resonanz nach wenigen Jahren aufgehört, glaubt er.
Die Episode stützt sein Credo: „Bei Entwicklungen ist Größe nicht alles. Es kommt auf die Idee an.“ Von denen hat sein Unternehmen, das sich auf die Veredelung von Glas verlegt hat und sein Vogelschutzglas mittels Oberflächenbeschichtung reflektieren lässt, noch einige. Photovoltaikglas etwa, das wie eine Gebäudefassade aussieht. Oder Glas mit antibakterieller Oberfläche. Ohnehin täuscht der Name Glaswerk. Arnold hat sich zu einer Unternehmensgruppe mit neun Standorten und Beteiligungen an drei Glashütten entwickelt. Mit 120 Millionen Euro Jahresumsatz ist das Unternehmen längst keiner der vielen kleinen Vertreter seiner Branche mehr, allerdings auch keiner der ganz großen. Arnold fühlt sich in dieser Position pudelwohl. Der Endfünfziger hat in Remshalden – Keimzelle des Unternehmens, aber kleinster Produktionsstandort der Gruppe – nicht viel Platz. Er macht das Beste daraus. Wenn er durch die Hallen führt, in denen Isolierglas hergestellt wird, geht es schwärmerisch um Details der Herstellung. Um tonnenschwere Flachglaslieferungen, das Anritzen und kontrollierte, von einem lauten „Knack“ begleitete Durchbrechen der Scheiben, die Reinigung mit entmineralisiertem Wasser oder die hohe Kunst, Abstandhalter zwischen den zwei oder drei Scheiben richtig anzubringen. „Wir produzieren in Losgröße 1“, sagt er, „also immer individuell. Es gibt keinen Standard.“ Anders als bei einer Massenfertigung habe man deshalb auch gute Chancen gegenüber Billiganbietern, etwa aus China.
Trotzdem ist der Automatisierungsgrad hoch, hinter Schutzzäunen tun Roboter und gewaltige Maschinen ihren Dienst. Für die vergleichsweise wenigen Mitarbeiter hier ist das ein Segen. Mal abgesehen von den hohen Gewichten, die ihnen beim Weitertransport der Scheiben erspart bleiben, sei die Verletzungsgefahr früher höher gewesen, sagt Arnold. Die technische Akribie hat schon seinen Vater zu einem Vorreiter der Branche gemacht. Alfred Arnold erfand das Isolierglas Ende der Fünfzigerjahre im Grunde neu, klebte die Verbindungen, statt sie zu löten, sorgte für größere Belastbarkeit, eine längere Lebensdauer, mehr Leistung – und vor allem für die Möglichkeit einer industriellen Fertigung. Das Verfahren gilt noch heute als globaler Standard.
Arnold senior ließ es unter dem Namen ISOLAR® – einer Kombination von Funktion und Familiennamen – patentieren. Die ISOLAR® Gruppe, eine der größten Vereinigungen mittelständischer Isolierglas-Hersteller aus einem Dutzend Ländern, geht auf ihn zurück. Dass Hans-Joachim Arnold das Unternehmen im Sinne seines Vaters weiterführt, ist nicht nur an den etwa 140 Patenten zu erkennen, die die Gruppe heute hält. Stets geht es um Funktionen von Flachglas, das etwa ein Viertel der 7,5 Millionen Tonnen Glas ausmacht, die jedes Jahr in Deutschland hergestellt werden. Das Dämmen ist nur eine davon. Allerdings eine wichtige, hilft sie doch, den CO2-Ausstoß durch Heizen zu reduzieren. Zum Schutz vor Wärme, Kälte oder Lärm kommt inzwischen auch der vor Sonne. „Hier spielt heute die Musik“, sagt Arnold. Während Wärmeschutz Standard geworden sei, habe sich der Schwerpunkt der Innovationen verschoben: „Unsere heutige Kernkompetenz ist die Glasbeschichtung.“ Ein Verfahren, bei dem unter anderem Silber, Zinnoxid, Zinkoxid oder Titanoxid zum Einsatz kommen. Das Vogelschutzglas ist so fein beschichtet, dass es UV-Licht reflektiert und Vögel warnt – während Menschen die Beschichtung kaum wahrnehmen. Der Schutz liege bei 70 bis 90 Prozent. Arnold geht pragmatisch vor, wenn Weiter- oder Neuentwicklungen anstehen. Er hole sich einfach die besten Leute aus seinen Unternehmen und aus Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer oder Max Planck zusammen, derart aufgestellt, sei auch für ein kleines Unternehmen viel möglich.
Obwohl operativ nicht mehr in der ersten Reihe, kümmert er sich meistens um mehrere Projekte gleichzeitig – mal abgesehen davon, dass er die Gruppe nach außen vertritt und Arnold ein Gesicht gibt, was besonders auf Nachwuchssuche wichtig sei. Schließlich können junge Leute auch gleich um die Ecke bei Porsche oder Daimler vorstellig werden und nicht bei Glaswerke Arnold. Deren Chef aber, Vater von drei erwachsenen Söhnen, sagt selbstbewusst und aus guter Erfahrung: „Wir kriegen unsere Leute, auch die jungen.“ Leuchtturm-Projekte des Unternehmens stehen nicht nur um die Ecke wie beim sogenannten Glaspalast in Sindelfingen und in anderen Bundesländern wie beim Deutschen Fußball-Museum in Dortmund, dem Vogelhaus des Berliner Zoos oder der Zentrale des Kamera-Herstellers Leica in Wetzlar. Arnold ist international vertreten: etwa in der Neuen Oper in Kopenhagen, im Golden Tower in Dubai oder in der New Yorker Bahnstation Stillwell Avenue, wo Photovoltaik-Glas von Arnold jährlich rund 300 000 Kilowattstunden Strom produziert. Ein paarmal im Jahr fliegt Arnold, der seit zwei Jahren auch Vorsitzender im Bundesverband Flachglas ist, nach Amerika, trifft Architekten, bespricht Projekte, er genießt das. Großaufträge liegen bei 3 bis 6 Millionen Euro. Er versichert aber: „Bei mir gibt es auch einen Spiegel für 50 Euro, wenn er nachgefragt wird.“ Sollte die Idee eines Photovoltaikglases
für Fassaden funktionieren, kann sich Arnold eine Investition von 15 bis 20 Millionen Euro in eine entsprechende Produktion vorstellen. Das Unternehmen hat, abgesehen von mehreren Übernahmen in den vergangenen Jahren, Erfahrung mit solchen Volumina. Die Beteiligung an einer der inzwischen drei Glashütten, die jeweils zwischen 5 und 10 Prozent liegt, kostete das Unternehmen Mitte der Neunzigerjahre rund 40 Millionen Mark. Er gibt aber auch zu, dass es
beim Glas mit antibakterieller Oberfläche hakt. „Da zahlen wir gerade Lehrgeld.“ 100 Euro je Quadratmeter seien ein zu hoher Preis für potentielle Kunden. Der Produktionsprozess sei noch nicht optimal. Aber ein neues Verfahren und ein Preis unter 10 Euro je Quadratmeter seien in Sicht, sagt er. Manchmal passt es eben nicht. Oder noch nicht. Das kennt er von anderen Feldern. Zur Autoindustrie etwa, die für Glaswerke Arnold doch so nah liegt, gibt es keine Verbindung. „Man muss auch seine Grenzen kennen“, sagt er. „Dafür sind wir einfach zu klein.“
Das Unternehmen
Die im Jahr 1959 gegründeten Glaswerke Arnold sind heute eine Unternehmensgruppe mit mehreren Standorten und Beteiligungen an drei Glashütten. Mit rund 850 Beschäftigten lag der Umsatz zuletzt bei 120 Millionen Euro, erzielt vor allem in den Hauptmärkten Deutschland,
Österreich und der Schweiz. Aber auch in den USA und im Nahen Osten ist das Unternehmen aktiv, vor allem im Architekturgeschäft, das alles in allem 80 Prozent des Umsatzes ausmacht. Glasveredelung ist der Kern der Arnold-Aktivitäten, hinzu kommen immer wieder neue Produkte wie Vogelschutzglas oder Fassadenphotovoltaik.
Der Unternehmer
Hans-Joachim Arnold, Jahrgang 1963, ist mit Ende zwanzig in den Betrieb seines Vaters Alfred Arnold eingestiegen, kurz darauf war er verantwortlich, weil der Vater starb. Der Vater dreier Söhne hat BWL studiert und hatte sich eine Zukunft außerhalb des Familienunternehmens ausgemalt – gerne im Ausland. Dass daraus nichts wurde, hat der Firma gutgetan, sie ist unter ihm enorm gewachsen. Aus dem operativen Geschäft hat sich Arnold zurückgezogen, dafür hat er seine Geschäftsführung. Er vertritt die Gruppe nach außen, treibt einzelne Projekte voran, beschäftigt sich aber auch gerne mit Kunst, Musik und Architektur.
Quelle:
Von Uwe Marx, Remshalden
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Montag, 27. September 2021, Nr. 224